Autonomie der Schilddrüse

Auch in der gesunden Schilddrüse gibt es autonome Zellen, die unabhängig vom TSH-Spiegel im Blut Jod aufnehmen und Schilddrüsenhormone freisetzen. Wenn der Anteil dieser autonomen Zellen grösser wird, werden die Auswirkungen ihrer Funktion klinisch relevant.

 

Warum kommt es bei manchen Menschen zu einer Zunahme an funktionell autonomen Zellen in der Schilddrüse?

 

Die funktionelle Autonomie ist in Jodmangelgebieten deutlich häufiger als in Gebieten mit ausreichender Jodversorgung. Ein Beispiel dafür sind die USA, wo etwa 1% aller Hyperthyreosen auf eine Schilddrüsenautonomie zurückzuführen sind, während dies in der Bundesrepublik Deutschland etwa 60% aller Hyperthyreosen sind. Damit lässt sich die Frage dahingehend beantworten, dass die Zunahme an funktionell autonomen Zellen in der Schilddrüse durch den chronischen Jodmangel verursacht ist.

Bereits in der gesunden Schilddrüse sind autonome Zellen in geringer Menge vorhanden, der chronische Jodmangel führt - über die Wirkung regionaler Mechanismen des Zellwachstums - zur Proliferation funktionell autonomer Zellen und kann bei manchen Menschen zu einer klinisch relevanten Autonomie führen. Die funktionelle Autonomie ist damit - neben der Schilddrüsenvergrösserung - eine direkte Folge des chronischen Jodmangels.

 

Wie äussert sich die Schilddrüsenautonomie?

Eine bestimmte Menge an funktionell autonomen Zellen führt zu einer hyperthyreoten Stoffwechsellage. Der Übergang von einer noch normalen (euthyreoten) Stoffwechsellage zur manifesten Hyperthyreose ist fliessend und hängt von der Menge an autonomen Gewebe und von der individuellen Jodversorgung ab. Das kritische Volumen (Volumen, bei der eine Hyperthyreose eintritt) ist somit von der Jodversorgung abhängig. Man geht davon aus, dass in Jodmangelgebieten (tägliche Jodzufuhr bis 70 µg Jodid täglich) das kritische Volumen des autonomen Gewebes bei etwa 10 ccm liegt.

Bei unerwartet hoher Jodzufuhr (z.B. Zufuhr von Röntgenkontrastmittel mit hohem Jodanteil oder bestimmten jodhaltigen Medikamenten, z.B. Amiodarone) kann jedoch aufgrund der raschen Zunahme der Hormonsynthese und Freisetzung eine klinisch massive und therapeutisch schwer beeinflussbare Hyperthyreose auftreten.

Die Symptome einer Schilddrüsenautonomie sind die einer latenten oder manifesten Hyperthyreose. Je nach Lebensalter und Vorerkrankungen sind die Symptome sehr variabel. Zu nennnen sind Tachyarrhythmien, Gewichtsverluste, Schlafstörungen, Unruhe und vermehrte Schweissneigung.

 

Wie geht man in der Diagnostik vor?

Man unterteilt die Diagnostik in In-vitro- und In-vivo-Diagnostik. Bei Verdacht auf eine Schilddrüsenautonomie muss in jedem Fall eine In-vivo-Diagnostik mit Hilfe der Sonographie und quantitativen Szintigraphie durchgeführt werden.

Die Sonographie dient zur Ermittlung des Volumens der fokalen oder multifokalen Autonomien. Die unifokale Autonomien zeigen häufig eine typische Struktur im Sonogramm. Das Echomuster ist echoarm, häufig enthalten die autonomen Areale zystische Anteile.

Die quantitative Szintigraphie zeigt ein funktionstopographisches Bild der Schilddrüse und ermöglicht die Lokalisation des autonomen Gewebes einschliesslich der Ermittlung der Tc-99m-Aufnahme (Tc-Uptake). Bei Vorliegen nur geringer Mengen autonomen Gewebes ist es sinnvoll, einen sogenannten Suppressionstest durchzuführen. Dazu nimmt der Patient über einen bestimmten Zeitraum synthetische Schilddrüsenhormone in höherer Dosierung ein, und das Szintigramm wird unter TSH-suppressiven Bedingungen wiederholt. Nicht selten werden dann autonome Anteile "demaskiert".

Für die In-vitro-Diagnostik stehen die Bestimmung der peripheren Schilddrüsenhormone sowie des basalen und stimulierten TSH (nach TRH-Gabe) zur Verfügung. Die peripheren Schilddrüsenhormone zeigen, ob die Funktion euthyreot oder hyperthyreot ist. Es sollten immer beide Schilddrüsenhormone bestimmt werden, da es gelegentlich auch eine isolierte T3-Hyperthyreose gibt. Der basale und der stimulierte TSH-Wert zeigen an, ob die übergeordneten Schilddrüsenhormone bereits durch das Vorliegen der Autonomie beeinträchtigt sind

Zur differentialdiagnostischen Abgrenzung der Autonomie gegenüber der Immunthyreopathie vom Typ Morbus Basedow kann es gelegentlich notwendig werden, Schilddrüsenautoantikörper (TSH-Rezeptor-Antikörper, thyreoidale Peroxidase-Antikörper) zu bestimmen. Der Nachweis bzw. das Fehlen dieser spezifischen Antikörper ermöglicht die Abgrenzung der diffusen oder disseminierten Autonomie von einer Immunthyreopathie.

Die Feinnadelpunktion kann nach neueren Erkenntnissen bei der unifokalen Autonomie einen Beitrag zur Klärung der Ursache leisten. Es gibt eine nicht autoimmune Form der Hyperthyreose, die autosomal dominant vererbt wird. Bei dieser Form der Autonomie liegt eine somatische TSH-Rezeptor-Mutation zugrunde, die sich im Knoten selber, nicht aber im umgebenden gesunden Gewebe nachweisen läßt. Die Diagnose dieser TSH-Rezeptor-Mutation erfolgt durch molekularbiologische Techniken.

Auf welche Weise kann man die funktionelle Autonomie der Schilddrüse therapeutisch beeinflussen?

Man kann drei Therapieformen unterscheiden:

·         Thyreostatische Medikation (keine kausale Therapie)

·         Operatives Vorgehen

·         Radiojodtherapie

·         als alternative Behandlungsmethode wird die lokale Instillation hochprozentigen Alkohols (PEI) empfohlen.

 

Die thyreostatische Therapie wird initial eingesetzt zum Erreichen einer euthyreoten Stoffwechsellage. Da diese Therapie keine kausale Therapie ist, wird bei Erreichen einer euthyreoten Stoffwechsellage eine definitve Therapie angestrebt.

Die Entscheidung, welche der beiden definitven Therapieformen (Operation, Radiojodtherapie) bei dem jeweiligen Patienten eingeschlagen wird, hängt von der individuellen Situation ab. Absolute Indikationen zur Operation sind große Knotenstrumen, die zumeist eine multifokale funktionelle Autonomie beinhalten und darüber hinaus kalte Knoten haben. Eine weitere absolute Indikation besteht bei konkretem Malignitätsverdacht. Das Ziel der operativen Behandlung ist die sichere Beseitigung der Hyperthyreose, dies gelingt in etwa 95%. Das Risiko der postoperativen Hypothyreose liegt zwischen 20 und 60%.

Die Radiojodtherapie erfolgt auf dem Boden einer individuell ermittelten Therapieaktivität. Die Herddosis wird mit 300 bis 400 Gy angesetzt (unifokale Autonomie), bei der multifokalen Autonomie und der disseminierten Autonomie strebt man ein Herdvolumen von 150 Gy an. Kontraindikationen für die Radiojodtherapie sind die Schwangerschaft und die Stillzeit. Eine weitere Kontraindikation ist der Malignitätsverdacht.

Auch bei großen Strumen, insbesondere beim Vorliegen von kalten Knoten, sollte die Radiojodtherapie zurückhaltend eingesetzt werden. Bei den übrigen Indikationen steht die Radiojodtherapie gleichwertig neben oder sogar an erster Stelle vor der Operation. In etwa 80% der Fälle führt die Radiojodthrapie zur Euthyreose, bei 15% muss mit einer Resistenz der Hyperthyreose gerechnet werden, 5% der Patienten entwickeln eine Hypothyreose.